Die wichtigste Superkraft, die Sie entwickeln können: Ihre Emotionen beobachten, ohne sich von ihnen mitreißen zu lassen
- Rients Goerbitz

- 22. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Es gibt Fähigkeiten, die zwar unscheinbar wirken, im Leben aber äußerst hilfreich sind. Eine davon ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, ohne sich von ihnen kontrollieren zu lassen. Das klingt einfach, doch ist es eine der schwierigsten Disziplinen, weil Emotionen eine starke Anziehungskraft haben: Sie tauchen auf, nehmen Besitz von uns und führen uns manchmal auf Wege, die wir mit klarem Verstand nicht gewählt hätten.

Dabei sind Emotionen keineswegs unsere Feinde. Ganz im Gegenteil: Sie sind wichtige Signale, denen wir Beachtung schenken sollten. Aber wir sollten sie nicht auf den ersten Eindruck hin als absolute Wahrheit nehmen. Einen Moment innezuhalten und das Geschehen bewusst zu beobachten, gibt uns die Möglichkeit, aus Bewusstheit zu handeln statt aus Impuls. Das ist wahre Freiheit.
Emotionen als Besucher in unserem Inneren
Ein hilfreicher Vergleich ist, Emotionen als Besucher zu sehen: Sie klopfen an unsere Tür und bringen eine Botschaft mit. Manche kommen mit Blumen (Freude, Dankbarkeit, Glück), andere mit einem Megafon (Ärger, Frustration), manche setzen sich einfach auf die Couch und wirken wie Obdachlose (Traurigkeit, Melancholie, Nostalgie).
Das Problem entsteht, wenn wir vergessen, dass sie Gäste sind, und ihnen die Schlüssel zum Haus überlassen. Statt zuzuhören und sie höflich gehen zu lassen, übernehmen sie die Kontrolle. Bei einer emotionalen „Entführung“ bestimmen Wut unsere Worte, Traurigkeit unsere Stimmung und Angst unsere Entscheidungen. Beobachten ohne mitgerissen zu werden heißt, die Herrschaft über das eigene emotionale Zuhause zu behalten.
Das Gehirn und sein „Autopilot“-Knopf
Menschen sind zutiefst emotional – aus biologischen Gründen: Emotionen dienen dazu, schnelle, instinktive Reaktionen auszulösen. Früher war das lebenswichtig – wer beim Anblick eines Löwen zu lange überlegte, überlebte nicht. Darum haben Emotionen in unserem Gehirn einen schnellen, bevorzugten Weg.
Auch wenn heute keine Löwen mehr hinter uns her sind, reagieren wir oft, als ob alles eine unmittelbare Bedrohung wäre: Eine E-Mail vom Chef, ein Kommentar im Netz, ein Streit zu Hause … Der emotionale Autopilot übernimmt, und wir tun oder sagen Dinge, die wir später bereuen.
Diese „Autopilot“-Funktion steuert hauptsächlich die Amygdala – eine primitive Gehirnstruktur, die wie ein Feueralarm agiert: Sie prüft nicht, ob Rauch von echtem Feuer oder angebranntem Toast kommt, sondern schlägt sofort Alarm.
Dabei wird der rationale Teil unseres Gehirns – der präfrontale Cortex –, der für besonnenes Denken und vernünftige Entscheidungen zuständig ist, oft vorübergehend außer Kraft gesetzt.
Emotionen beobachten lernen
Diese Fähigkeit besteht darin, sich Zeit zu nehmen, damit der rationale Gehirnanteil wieder aktiv werden kann und wir in der jeweiligen Situation angemessene Entscheidungen treffen.
Hindernisse auf dem Weg zur Ruhe
Wären Beobachtung und Kontrolle der Gefühle so leicht, lebten wir alle im Zen-Zustand, und Flughäfen wären Orte der Meditation statt Orte voller gestresster Menschen.
Ein großes Problem ist die Schnelligkeit, mit der Emotionen ausgelöst werden. Oft sind wir schon zu einer impulsiven Reaktion übergegangen, bevor wir bemerken, was wir fühlen. Die Amygdala schlägt zuerst Alarm – Nachfragen kommen später. Daher muss man das Innehalten üben.
Ein weiterer Stolperstein ist die Überidentifikation mit Gefühlen. Wir verwechseln oft, was wir empfinden, mit unserem Wesen. Wir denken, wenn wir ein Gefühl haben, müssten wir entsprechend handeln. Doch viele Emotionen sind nur vorübergehend, und dauerhaft auf ihnen basierende Entscheidungen können unklug sein.
Was bedeutet „Emotionen beobachten“?
Viele verstehen darunter Passivität. Doch Beobachten heißt nicht, tatenlos zuzusehen, während das Haus abbrennt. Vielmehr bemerkt man den Rauchalarm und entscheidet, ob es ein Fehlalarm ist, ob man die brennende Kerze löschen kann oder ob man lieber die Feuerwehr ruft.
Emotionen mit Neugier zu betrachten bedeutet konkret:
Zu spüren, wie sich das Gefühl im Körper zeigt: Kloß im Hals? Verspannte Schultern? Flattern im Bauch?
Den Tonfall zu erkennen: Ist es reine Wut oder verborgene Frustration?
Die Botschaft zu verstehen: Was will das Gefühl uns sagen oder woran erinnern?
So wird die Emotion zum beobachteten Objekt des Bewusstseins statt zum beherrschenden Subjekt.
Wie verhindert man, von Emotionen mitgerissen zu werden? Bewusste emotionale Selbstbeobachtung
Emotionen lassen sich nicht einfach ausknipsen. Aber wir können lernen, ihre Stärke zu regulieren, um nicht in ihnen zu versinken. Wichtig ist nicht das Unterdrücken, sondern das bewusste Wahrnehmen, was den Sturm in eine kontrollierbare Erfahrung verwandelt.
Atmen vor der Reaktion: Tiefes Einatmen beruhigt das Nervensystem und schafft einen Moment der Distanz. Zwei bis fünf Minuten reichen oft schon, um Klarheit für angemessene Reaktionen zu gewinnen.
Emotion benennen: „Das ist Traurigkeit“ oder „das ist Angst“ zu sagen, mindert das Gefühl nicht, aber macht es greifbar und handhabbar. Das Benennen aktiviert Hirnregionen, die uns helfen, Emotionen zu steuern.
Körperwahrnehmung fokussieren: Dort, wo das Gefühl körperlich spürbar ist (Bauch, Brust, Hals), erkennen wir es als vorübergehende Energie und nicht als festen Teil unserer Identität.
Achtsamkeit üben: Präsenz üben, ohne von Gedanken oder Gefühlen mitgerissen zu werden – zum Beispiel beim Spülen oder Gehen. So lernt man, im Hier und Jetzt zu bleiben.
Natürlich braucht diese Fähigkeit Übung und Geduld. Anfangs mag es frustrierend sein, aber jede bewusste Wahrnehmung ist ein Fortschritt. Mit der Zeit wird das Beobachten zur Gewohnheit.
Beim nächsten starken Gefühl hilft es, es wie einen Sturm zu betrachten, der draußen am Fenster vorüberzieht: Nicht hinausgehen, nicht so tun, als wäre strahlender Sonnenschein, sondern einfach beobachten, verstehen und warten, bis er weiterzieht.
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