Wenn der Geist abschweift: Wie unser Denken uns manchmal auf Abwege führt – und warum das gut sein kann
- Rients Goerbitz

- vor 12 Minuten
- 3 Min. Lesezeit
Jeder kennt es: Man sitzt konzentriert bei der Arbeit, beim Lesen oder in einem Gespräch – und plötzlich sind die Gedanken ganz woanders. Das Phänomen des „mind wandering“, also des geistigen Abschweifens, ist längst Teil unseres Alltags. Es ist kein Zeichen von Faulheit oder Desinteresse, sondern ein faszinierender Einblick in die Funktionsweise unseres Gehirns. Was tatsächlich passiert, wenn unser Geist auf Abwege gerät, wie sich das auf unser Denken und Handeln auswirkt und wie wir davon profitieren können – all das beleuchtet die aktuelle Forschung.

Die tägliche Reise unseres Geistes
Wissenschaftler schätzen, dass wir zwischen 30 und 50 Prozent unserer wachen Zeit durch mind-wandering abgelenkt sind. Während unserer täglichen Beschäftigungen schweifen Gedanken meist unwillkürlich ab – wir erinnern uns an frühere Erlebnisse, planen zukünftige Aufgaben oder träumen uns einfach in andere Welten. Diese Episode ist alles andere als passiv: Das Gehirn aktiv verarbeitet Erinnerungen, Gefühle und Ideen.
Millar und Kollegen (2023) haben herausgefunden, dass mind-wandering zwei Seiten hat: Es kann bewusst eingesetzt werden, um Kreativität zu fördern, oder ungewollt passieren, was die Aufmerksamkeit und Leistung beeinträchtigen kann. Damit ist klar, dass nicht jedes Abschweifen gleich ist. Das bewusste Abschalten etwa hilft vielen, sich zu entspannen und neue Ideen zu entwickeln – wohingegen unkontrolliertes Abschweifen oft ablenkt und Fehler begünstigt.
Warum abschweifen? Die Wissenschaft dahinter
Der menschliche Geist ist komplex. Die Forscher unterscheiden zwischen verschiedenen Arten von Gedankengängen: Bewusstes, konstruktives Grübeln, aber auch sorgenvollen, dysphorischen Gedankenschleifen, die unnötig belasten können. Studien aus dem Bereich der kognitiven Neurowissenschaften zeigen, dass für diese Prozesse unterschiedliche Bereiche im Gehirn aktiv werden.
Außerdem hängt das Ausmaß und die Art des Abschweifens von der individuellen Fähigkeit ab, die Aufmerksamkeit zu steuern – sogenannte exekutive Funktionen. Menschen mit stärkerer Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit können ihr mind-wandering besser kontrollieren und lenken es eher kreativ als destruktiv. Und das wirkt sich positiv auf Problemlösung und Wohlbefinden aus.
Mind-wandering im Alltag: Fluch oder Segen?
Während wir oft denken, mind-wandering würde unsere Leistungsfähigkeit nur stören, hat es auch überraschende Vorteile. So kann das bewusste Abschweifen dabei helfen, komplexe Probleme aus einer neuen Perspektive zu betrachten oder kreative Lösungen zu finden. Einige erfolgreiche Menschen berichten von Geistesblitzen in Momenten, in denen sie eigentlich „dank“ abschweifender Gedanken ganz woanders waren.
Gleichzeitig warnen Experten davor, dass zu viel unkontrolliertes Abschweifen die Produktivität einschränkt, vor allem bei Aufgaben, die höchste Konzentration erfordern. In Berufs- oder Lernsituationen kann das zu vermeidbaren Fehlern oder verpassten Chancen führen.
Strategien, um den Geist zu lenken
Was also tun, wenn der Geist zu oft und zu unkontrolliert abschweift? Achtsamkeitstraining hat sich als effektive Methode erwiesen, um die Aufmerksamkeit zurück ins Hier und Jetzt zu holen. Ebenso helfen kurze Pausen, Bewegung oder das bewusste Umdenken, um den Kopf frei zu bekommen.
Millar et al. betonen auch die Bedeutung der Selbstbeobachtung. Indem wir uns unserer Gedanken bewusst werden – etwa durch Tagebuch führen oder Gedankenstopp-Techniken – können wir lernen, unproduktive Gedankenzyklen zu erkennen und zu unterbrechen. Dies fördert nicht nur die Konzentration, sondern auch die geistige Gesundheit.
Mind-wandering als Schlüssel zur Selbstreflexion
Mind-wandering schafft einen Raum für Selbstreflexion und das Verarbeiten innerer Konflikte. Wenn Gedanken abschweifen, werden oft ungelöste Probleme oder Sorgen sichtbar. Obwohl das manchmal unangenehm sein kann, gibt uns diese innere Reise die Möglichkeit, unseren Gedanken und Gefühlen zu begegnen und Klarheit zu gewinnen.
Dieser innere Dialog ist laut Studien entscheidend für unser psychisches Wohlbefinden und kann helfen, Stress abzubauen oder schwierige Entscheidungen vorzubereiten.
Fazit: Die Kunst der Balance
Mind-wandering ist weder gut noch schlecht per se – es ist ein natürlicher Bestandteil unseres Denkens mit Vor- und Nachteilen. Die Herausforderung liegt darin, die Balance zu finden: Den Geist ausreichend frei lassen für Kreativität und Selbstreflexion, aber auch stark genug lenken, wenn der Fokus gefragt ist.
Mit Bewusstsein, Achtsamkeit und gezieltem Training können wir diese Balance erreichen und so unser geistiges Potenzial voll ausschöpfen – für mehr Lebensqualität, Kreativität und Erfolg.
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