Selbstfürsorge für Helfende: Was ist Mitgefühlsmüdigkeit und wie kann man ihr vorbeugen?
- Rients Goerbitz

- 12. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Okt.
Bereits Anfang der 1990er Jahre fiel der Notfallkrankenschwester Carla Joinson auf, dass viele ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht nur erschöpft, sondern emotional regelrecht ausgelaugt waren. Die tägliche Konfrontation mit Leid und das ständige Geben von Fürsorge führten zu einer besonderen Form der Erschöpfung: der sogenannten Mitgefühlsmüdigkeit.

Die Schattenseite des Helfens: Mitgefühlsmüdigkeit
Mitgefühlsmüdigkeit kann die Fähigkeit beeinträchtigen, klar zu denken, Gefühle angemessen zu steuern und den Alltag zu bewältigen. Besonders häufig tritt sie in Pflegeberufen auf, doch auch Ärztinnen, Therapeuten oder Tierärzte sind betroffen. Schätzungen zufolge erleben zwischen 10 und 43 Prozent der Pflegekräfte in unterschiedlicher Ausprägung diese Form der Erschöpfung.
Typische Anzeichen sind ein nachlassendes Einfühlungsvermögen und zunehmende emotionale Distanz. Die Arbeit wird mehr zur reinen Pflichterfüllung, der menschliche Aspekt rückt in den Hintergrund. Hinzu kommt eine tiefe körperliche und seelische Erschöpfung, die viele als „Müdigkeit bis in die Knochen“ beschreiben – mit spürbaren Auswirkungen auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit.
Oft gehen damit negative Stimmungen wie Ärger, Gereiztheit, Zynismus oder Verbitterung einher. Diese Veränderungen können die Entscheidungsfähigkeit trüben, die Konzentration beeinträchtigen und sogar das Gedächtnis belasten. Kurzfristig treten häufig Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel auf. Bleibt die Mitgefühlsmüdigkeit bestehen, steigt das Risiko für ernsthafte Erkrankungen und psychische Probleme wie Angst oder Depression.
Wie lässt sich Mitgefühlsmüdigkeit im Alltag vorbeugen?
Wer täglich für andere da ist, vergisst oft, sich selbst Aufmerksamkeit zu schenken. Doch Fürsorge für sich selbst ist keine Schwäche, sondern Voraussetzung, um langfristig helfen zu können. Drei zentrale Säulen helfen, Mitgefühlsmüdigkeit vorzubeugen: Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Resilienz.
1. Achtsamkeit – Mehr als nur tiefes Durchatmen
Achtsamkeit bedeutet, sich immer wieder bewusst wahrzunehmen, was man gerade fühlt und braucht – ohne zu bewerten. Schon kleine Pausen im Arbeitsalltag können helfen:
Vor Arbeitsbeginn: Zehn tiefe Atemzüge, bevor man durch die Tür tritt, helfen, sich zu zentrieren und ruhig zu starten.
Zwischendurch: Den Körper spüren – sind Kiefer oder Schultern angespannt? Dann bewusst lockern, um Anspannung nicht anzusammeln.
Nach Feierabend: Einen Moment innehalten, bevor man zu Hause etwas anderes beginnt. Wie geht es mir gerade? Diese kurze Selbstwahrnehmung hilft, den Tag hinter sich zu lassen.
2. Praktische Selbstfürsorge – Auch wenn wenig Zeit bleibt
Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern notwendig. Es geht nicht nur um ausreichend Schlaf, sondern darum, kleine Oasen im Alltag zu schaffen:
Kurze Genussmomente: Einen Lieblingssnack mitbringen, eine Tasse Tee bewusst genießen oder fünf Minuten Musik hören – kleine Auszeiten laden die Batterien wieder auf.
Den Tag positiv abschließen: Statt automatisch das Handy zu checken, kurz überlegen: Was ist heute gut gelaufen? Wofür bin ich dankbar? Das stärkt die Freude und den Sinn an der eigenen Arbeit.
Rituale für den Feierabend: Ein entspannendes Bad, Musik hören oder Zeit mit der Familie – solche Gewohnheiten helfen, emotional abzuschalten und neue Kraft zu schöpfen.
3. Resilienz – Die unsichtbare Stärke trainieren
Resilienz ist die Fähigkeit, in schwierigen Situationen nicht nur zu bestehen, sondern daran zu wachsen. Wer resilient ist, fühlt sich wirksamer und reagiert gelassener auf Stress.
Austausch suchen: Mit vertrauten Kolleginnen und Kollegen offen über Belastungen sprechen – gehört und verstanden zu werden, wirkt entlastend.
Reflektieren statt nur aushalten: Nach einer schwierigen Woche fragen: Was habe ich daraus gelernt? Was kann ich beim nächsten Mal anders machen? Diese Perspektive fördert eine aktive, lösungsorientierte Haltung.
Emotionales Notfallset bereithalten: Eine beruhigende Melodie, ein Foto, das an den eigenen Antrieb erinnert, oder ein kleiner Glücksbringer – solche Dinge können in stressigen Momenten Halt geben.
Fazit
Wer für andere sorgt, sollte sich selbst nicht vergessen. Mit kleinen, bewussten Schritten im Alltag lässt sich Mitgefühlsmüdigkeit vorbeugen. Es lohnt sich, sich selbst mit der gleichen Fürsorge und Freundlichkeit zu begegnen, die man anderen schenkt – nicht nur, um gesund zu bleiben, sondern auch, um die Freude am Beruf zu bewahren.
Wenn dieser Beitrag Lust gemacht hat, die eigene innere Stärke im Alltag weiterzuentwickeln, könnte ein achtsamkeitsbasiertes Stressbewältigungsprogramm genau das Richtige sein. Ich biete Kurse an, die speziell darauf ausgelegt sind, mehr Gelassenheit, Klarheit und Ausgeglichenheit im Berufs- und Familienleben zu fördern – wissenschaftlich fundiert und praxisnah.
Ob Stressreduktion durch MBSR, achtsames Elternsein mit Selbstmitgefühl oder Achtsamkeitstraining für den Joballtag: Hier finden Sie Unterstützung, um den Herausforderungen des Alltags mit mehr Ruhe und Wohlbefinden zu begegnen.
Weitere Informationen zu aktuellen Kursangeboten und Möglichkeiten zum unkomplizierten Austausch finden Sie auf aware.ooo.
Quellen:
Collier, J. et al. (2024): Strategien zur Prävention und Behandlung von Mitgefühlsmüdigkeit bei Pflegekräften.
Ye, L. et al. (2024): Prävalenz und Einflussfaktoren von Mitgefühlsmüdigkeit bei Pflegepraktikanten.
Paiva-Salisbury, M. & Schwanz, K. (2022): Resilienz gegen Mitgefühlsmüdigkeit aufbauen.
Stoewen, D. L. (2020): Von Mitgefühlsmüdigkeit zu Mitgefühlsresilienz.
Izaguirre, A. et al. (2020): Wirksamkeit von Selbstfürsorge- und Achtsamkeitsprogrammen in der Pflege.
_edited.jpg)



Kommentare