Spiritual Bypassing: Die Illusion des Egos - Warum echte Entwicklung mehr erfordert als nur schöne Worte
- Rients Goerbitz

- 10. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Okt.
In den letzten Jahren erleben wir einen regelrechten spirituellen Boom. Überall entstehen Zentren für Yoga, Meditation und „express mindfulness“, die gegen Bezahlung schnelle Wege zu innerer Erleuchtung versprechen. Diese populäre Spiritualität hat sich zu einem weiteren Produkt im Wellnessmarkt entwickelt, das vermeintliche Abkürzungen anbietet und vereinfachte Versionen alter Traditionen verkauft, die eigentlich Disziplin und Hingabe erforderten. Wenn die Stunden gemeinsamer Atemübungen in geschlossenen Gruppen nicht zur Erleuchtung führen, liefern sie zumindest hübsche Foto-Motive für Instagram.

Was ist Spiritual Bypassing?
Die Kommerzialisierung und Simplifizierung spiritueller Praktiken ist kein neues Phänomen. Bereits in den 1980er-Jahren prägte der Psychologe John Welwood den Begriff „spiritual bypassing“. Dabei beobachtete er in buddhistischen Kreisen eine Tendenz, spirituelle Konzepte zu nutzen, um ungelöste psychische Probleme, emotionale Verletzungen und verborgene Konflikte zu vermeiden. Anders gesagt: Menschen verstecken sich hinter einer naiven Spiritualität, um sich nicht mit ihren Ängsten, Unsicherheiten und Schatten auseinanderzusetzen.
Diese Haltung führt dazu, dass wichtige menschliche Bedürfnisse, Gefühle, psychologische Schwierigkeiten und zwischenmenschliche Probleme heruntergespielt oder verdrängt werden. Spirituelles Umgehen steht Wachstum im Weg. Es löst nicht, sondern trennt uns von uns selbst, indem wir hinter einem spirituellen Schutzschild aus metaphysischen Vorstellungen und Praktiken verschwinden, die uns nicht die echte Ruhe und das Wohlbefinden bringen, das wir brauchen.
Sieben Anzeichen für spirituelles Umgehen
Spirituelles Umgehen zeigt sich oft im Alltag, man muss nur hinsehen. Zum Beispiel, wenn wir uns ängstlich oder traurig fühlen und statt uns dem zu stellen, zu einer weiteren Yoga-Stunde rennen oder zum neusten Guru-Buch greifen. Oder wenn wir scheinbar Ruhe bewahren, innerlich aber von der Last der Welt erdrückt werden.
Die häufigsten Anzeichen sind:
1. Übertriebene Distanzierung
Losgelöstheit ist in vielen östlichen Traditionen eine Tugend, doch wenn sie ins Extreme kippt, wird sie zu einem Rückzug vom Leben selbst. Menschen, die Spiritualität als Ausrede nutzen, weichen schwierigen Situationen oder unangenehmen Gefühlen aus, indem sie mantraartig wiederholen, dass alles im Fluss sei oder sie nichts berühre. Das führt zu emotionaler Betäubung und verhindert echtes Lernen und Erwachsenwerden.
2. Gefühlsstarre und Unterdrückung
Spirituelles Umgehen geht häufig mit der Unfähigkeit einher, Gefühle wirklich zuzulassen. Schmerzliche Emotionen werden ignoriert oder verdrängt und durch oberflächliche spirituelle Übungen ersetzt. Statt das Leiden zu verwandeln, wird es verbannt, was zu einer künstlichen Ruhe führt.
3. Übermäßige Betonung des Positiven
Nur das Positive zu sehen scheint harmlos und gesund, doch hier wird die emotionale Realität verleugnet. Dieses "Zwangsoptimismus" macht es schwer, negative Gefühle wie Traurigkeit oder Angst anzuerkennen, und erzeugt Schuldgefühle oder das Gefühl, versagt zu haben, wenn man solche Emotionen erlebt.
4. Angst vor Wut
Wut ist eine natürliche und oft hilfreiche Emotion, wenn sie richtig genutzt wird. Viele pop-spirituelle Bewegungen pathologisieren Wut jedoch und fördern eine irrationale Angst davor. Das führt dazu, dass Menschen Ärger unterdrücken, notwendige Konflikte vermeiden oder falscher Weise denken, Spiritualität bedeute, jegliche Spannung aufzulösen.
5. Blinde Mitgefühl oder fehlende Grenzen
Echtes Mitgefühl braucht Unterscheidungsvermögen. Ohne diese Fähigkeit wird es zur passiven Duldung schädlicher Verhaltensweisen. Menschen, die sich in simplen spirituellen Mustern verlieren, setzen oft keine gesunden Grenzen und erlauben anderen, negative Dynamiken fortzusetzen, getarnt als „bedingungslose Liebe“.
6. Herabsetzung anderer
Ein weiteres Zeichen ist, sich durch spirituelle Zugehörigkeit oder Praktiken anderen überlegen zu fühlen – etwa durch Meditation, exotische Diäten oder ungewöhnliche Übungen. In Wahrheit ist dies eine Ego-Falle, die das Gefühl von Überlegenheit vorgaukelt. Spirituelle Entwicklung macht niemanden besser als andere.
7. Ungleichgewicht in der Entwicklung
Manche glänzen theoretisch mit Wissen, können aber im Alltag mit Lebensproblemen nicht reif umgehen. Es ist, als wäre die kognitive Intelligenz in der ersten Klasse Nirvana, während die emotionale Intelligenz in der Economy-Class hängenbleibt. Dieses Missverhältnis zeigt, dass die Ansammlung von Wissen nicht gleichbedeutend mit wahrer Weisheit ist.
Fazit
Spirituelle Praktiken sind wertvoll und bereichernd. Doch bevor wirkliche Heilung geschehen kann, müssen wir ehrlich mit uns selbst sein und akzeptieren, wer wir sind und was gerade passiert. Spiritualität darf kein Fluchtweg sein, sondern soll uns helfen, uns selbst besser zu verstehen und persönlich zu wachsen. Dieser Weg führt auch durch Unbequemes hindurch. Wer seine Schatten nicht konfrontiert, erlebt Spiritualität oft nur als Fassade, hinter der sich tiefes Unwohlsein verbirgt. Das ist nicht der richtige Weg.
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